
BRAUNBUCH
KRIEGS- UND NAZIVERBRECHER IN DER BUNDESREPUBLIK UND
IN WESTBERLIN
STAAT • WIRTSCHAFT • VERWALTUNG • ARMEE • JUSTIZ •
WISSENSCHAFT
EINFÜHRUNG
Im Mai 1968 jährt sich zum 23. Male der Tag der Befreiung der Menschheit von den
Schrecken des zweiten Weltkrieges und der faschistischen Barbarei.
Der
opferreiche Kampf der in der Antihitlerkoalition vereinten Völker, dessen
Hauptlast die Sowjetunion trug, endete mit der völligen Niederlage des
faschistischen Aggressors, mit dem totalen Zusammenbruch eines Systems, das
durch eine Kette von Angriffsakten und militärischen Überfällen, durch eine
Herrschaft des Terrors und der Willkür, durch Massenmorde und schwerste
Kriegsverbrechen den Tod von 55 Millionen Menschen verschuldete.
Der Begriff
„Kriegs- und Naziverbrechen“ war zum Synonym für Völkermord, Barbarei und
Sadismus geworden, und die Regierungen der Antihitlerkoalition drückten das
Empfinden und die Forderungen der ganzen friedliebenden Menschheit aus, als sie
in der Krim-Deklaration verkündeten:
„Es ist unser unbeugsamer Wille, den
deutschen Militarismus und Nationalsozialismus zu zerstören und dafür Sorge zu
tragen, daß Deutschland nie wieder imstande ist, den Weltfrieden zu stören. Wir
sind entschlossen, alle Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen und einer
schnellen Bestrafung zuzuführen…“
Die DDR machte die Ziele der
antifaschistischen Widerstandsbewegung und der Antihitlerkoalition, die im
Potsdamer Abkommen ihren Ausdruck fanden, zur Richtschnur ihres Handelns. Aus
allen Bereichen des öffentlichen Lebens wurden jene Kräfte entfernt, die den
zweiten Weltkrieg vorbereiteten und die Völker Europas in Krieg und Elend
stürzten. Das lag sowohl im Interesse des Friedens und der Sicherheit der
europäischen Nachbarvölker als auch im Interesse des deutschen Volkes. Die DDR
erfüllte den Auftrag des deutschen Volkes und der Völker der Welt, alle Kriegs-
und Naziverbrechen zu ahnden und gerecht zu sühnen. In der Zeit von Mai 1945 bis
Ende 1967 wurden in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR
insgesamt
16583 Personen wegen Beteiligung an Verbrechen gegen den Frieden
und die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Davon
wurden
12818 verurteilt,
l578 freigesprochen. Die Verfahren gegen
2187
Angeklagte wurden wegen Abwesenheit, Tod oder auf Grund des von der Sowjetischen
Militär-Administration erlassenen Amnestiebefehls Nr. 43/48 vom 18. März 1948
eingestellt, da keine höhere Freiheitsstrafe als ein Jahr zu erwarten
war.
Von den 12807 gerichtlich zur Verantwortung gezogenen Personen
wurden 119 zum Tode, 239 zu lebenslangem Zuchthaus und 5090 zu einer höheren
Freiheitsstrafe als 3 Jahre verurteilt.
23 Jahre nach der Befreiung vom
Faschismus, 23 Jahre nach dem Beginn des Nürnberger Völkertribunals gegen die
Hauptkriegsverbrecher steht die Welt jedoch vor der Tatsache, daß in der
westdeutschen Bundesrepublik zu Tausenden Verantwortliche für Nazi- und
Kriegsverbrechen nicht nur unbestraft blieben, sondern führende Positionen in
Wirtschaft und Staat, in Bundeswehr und Polizei, in Bildungseinrichtungen sowie
in Verlagen und in den Massenmedien einnehmen. Die westdeutsche Regierung setzte
sich rigoros über die gerechten Forderungen aller Völker hinweg, mißachtete das
Potsdamer Abkommen und die Nürnberger Rechtsprechung, stellte die Verfolgung der
Kriegsverbrecher unmittelbar nach Gründung der Bundesrepublik fast völlig ein
und beförderte Hauptschuldige und Hintermänner der schlimmsten Naziverbrechen in
entscheidende Staatsstellungen.
Die widerrechtliche Übernahme von
Gesetzen des Bonner Staates durch Westberlin, das nicht zur Bundesrepublik
gehört und bekanntlich auf dem Territorium der DDR liegt, hat dazu geführt, daß
auch hier in zunehmendem Maße schwerbelastete Faschisten in hohen Positionen der
Verwaltung, Justiz und Polizei Wiederverwendung gefunden haben. Diese Kräfte
sind es in erster Linie, die als Stützen der Bonner Machthaber in Zusammenarbeit
mit den Spionagezentralen und Diversantengruppen durch Provokationen an der
Staatsgrenze der DDR, durch Menschenraub und andere Terrorakte ständig eine
Verschärfung der Lage anstreben und alle Verhandlungsbemühungen der DDR zur
Normalisierung des Verhältnisses zwischen dem Senat von Westberlin und der
Regierung der DDR zu torpedieren versuchen.
Obwohl nach 1945 der weitaus
größte Teil der Kriegs- und Naziverbrecher in die westlichen Besatzungszonen
flüchtete, wurden in der westdeutschen Bundesrepublik, deren Bevölkerungszahl
dreimal so groß ist wie die der DDR, bis zum 1. Januar 1964 nur 12457 Personen
angeklagt. Bis März 1965 wurden von den Gerichten der Bundesrepublik nur 5234
Personen rechtskräftig verurteilt, in über 7000 Fällen erging Freispruch, wurde
das Verfahren eingestellt oder die Hauptverhandlung gar nicht erst eröffnet. In
den Fällen aber, in denen eine Verurteilung erfolgte, standen die Urteile in der
Regel in keinem Verhältnis zur Straftat. Von 5234 verurteilten Naziverbrechern
und Massenmördern wurden nur 80 zur Höchststrafe (9 zum Tode, 71 zu lebenslangem
Zuchthaus) verurteilt! (Die Zahlen sind der letzten offiziellen Veröffentlichung
des Bundesjustizministeriums entnommen. Hinsichtlich der rechtskräftig
Verurteilten hat sich bis heute nichts Wesentliches verändert.)
Wenn in
den letzten Jahren – nach langer Pause – in der Bundesrepublik wieder einige
Verfahren gegen Nazi-Massenmörder stattfinden, so muß dazu festgestellt werden:
Erstens erfolgen sie unter dem Druck der Enthüllungen durch die DDR und nur in
solchen Fällen, in denen die internationale Empörung der westdeutschen Justiz
keine andere Möglichkeit läßt. Zweitens richten sie sich fast ausschließlich
gegen die untersten Chargen der SS- und KZ-Mörder, während die in exponierten
Stellungen tätig gewesenen Schreibtischmörder und Hintermänner verschont
bleiben. Drittens schließlich ergehen in diesen Verfahren haarsträubend milde
Urteile, so daß sogar Eichmann-Mitarbeiter, wie die SS-Führer Hunsche und
Krumey, die an der Deportation und Ermordung von Hunderttausenden ungarischer
Juden mitwirkten, 1964 in Frankfurt a. M. freigesprochen beziehungsweise mit
Bagatellstrafen belegt wurden. Diese Verfahren ändern nichts daran, daß
Westdeutschland heute ein Paradies für Nazi- und Kriegsverbrecher
ist.
Dieses Braunbuch enthält – als unvollständige Zusammenfassung – die
Namen von 2300 führenden Nazi-Funktionären und Kriegsverbrechern, die sich heute
ungehindert in entscheidenden Stellungen des westdeutschen Staatsund
Wirtschaftsapparates betätigen oder aber hohe Staatspensionen für ihre
„verdienstvolle“ Tätigkeit im „Dritten Reich“ beziehen.
Das Braunbuch
weist nach: Zu den Stützen der Hitlerdiktatur, den Wegbereitern und Nutznießern
der Judenverfolgung, den Organisatoren und Kommandeuren der Überfälle auf fast
alle Länder Europas, zu den überführten Mördern von Antifaschisten und
Widerstandskämpfern, die heute in Westdeutschland wieder tätig sind,
zählen:
der Bundespräsident,
20 Angehörige des Bundeskabinetts und
Staatssekretäre,
189 Generale, Admirale und Offiziere in der Bundeswehr oder
in den NATO-Führungsstäben sowie Beamte im Kriegsministerium,
1118 hohe
Justizbeamte, Staatsanwälte und Richter,
244 leitende Beamte des Auswärtigen
Amtes, der Bonner Botschaften und Konsulate,
300 Beamte der Polizei und des
Verfassungsschutzes sowie anderer Bundesministerien.
Als höchster
Repräsentant der Bundesrepublik fungiert mit Heinrich Lübke ein KZ-Baumeister
der Nazi und Vertrauensmann der Gestapo. Als Beauftragter für
Arbeitskräfteeinsatz bei geheimen Rüstungsvorhaben des „Dritten Reiches“
zeichnet er mitverantwortlich für das verbrecherische System der Vernichtung
durch Arbeit.
In der Person des Kurt-Georg Kiesinger setzte sich ein
leitender Ribbentrop-Mitarbeiter und Goebbels-Journalist an die Spitze der
Bundesregierung, der maßgeblichen Einfluß auf die nazistische Propaganda
ausübte, nachweislich die Pogromhetze gegen Juden im Ausland lenkte und die 5.
Kolonne Hitlers über den Äther organisieren half.
Dieses Braunbuch
enthält ausschließlich die Namen solcher Personen, die durch ihre führende
Tätigkeit bei der Vorbereitung und Durchführung der nazistischen Verbrechen und
Aggressionsakte tatsächlich belastet sind beziehungsweise unmittelbar an
Massenmorden teilgenommen, dafür die Befehle erteilt oder sie als intellektuelle
Urheber vorbereitet haben. Es wurde bewußt darauf verzichtet, auch solche
durchaus nicht unbelasteten Personen aufzunehmen wie den CSU-Vorsitzenden und
Finanzminister Franz-Josef Strauß, obwohl er als NS-Führungsoffizier das
Hitlerregime aktiv unterstützt hat. Selbstverständlich enthält das Braunbuch
keine Namen nomineller Mitglieder der NSDAP. Die DDR hat immer konsequent
zwischen der Millionenzahl ehemaliger Mitglieder der Nazi-Organisationen
unterschieden, die selber irregeführt und betrogen wurden, und jener
abscheulichen Gruppe von Hintermännern, Initiatoren und Profiteuren der
Naziverbrechen. Wir denken nicht daran, irgend jemandem, der einmal einen
politischen Irrtum beging, inzwischen aber längst seinen Fehler erkannt und
einen neuen Weg beschütten hat, aus seiner Vergangenheit einen Vorwurf zu machen
– schon gar nicht 23 Jahre danach.
Schließlich muß darauf hingewiesen
werden, daß die Bonner Regierung die hier aufgeführten Naziverbrecher nicht etwa
in Unkenntnis, sondern im Gegenteil in voller Kenntnis ihrer Vergangenheit in
ihre gegenwärtigen Stellungen berief. Im Braunbuch wird anhand vieler Beispiele
exakt nachgewiesen, seit wieviel Jahren die Belastungsmaterialien über den
Betreffenden in Bonn bekannt sind.
Die DDR hat es stets als ihr Recht und
ihre Pflicht angesehen, die Öffentlichkeit über die gefährliche Entwicklung in
Westdeutschland zu informieren und ihren Teil dazu beizutragen, daß die
Vergangenheit in ganz Deutschland bewältigt wird. Seit 1955 nannte die DDR auf
zahlreichen Pressekonferenzen die Namen von insgesamt 1583 ehemaligen Juristen
der nazistischen Ausnahmegerichte, die in Westdeutschland wieder zu Amt und
Würden kamen. Den westdeutschen Justizbehörden wurden seit 1959, nachdem sie
sich jahrelang dagegen sträubten, über 2000 Todesurteile übermittelt, an denen
in Westdeutschland tätige Juristen während der Nazi-Zeit mitwirkten. Ferner
wurden 8000 Dokumente, Personalakten usw. über andere Nazi- und Kriegsverbrecher
übergeben oder übersandt. In über 200 Prozessen gegen Nazi- und Kriegsverbrecher
in Westdeutschland leistete die DDR mit Dokumenten, Zeugen und Sachverständigen
Rechtshilfe, um zur Aufdeckung der vollen Wahrheit beizutragen.
Die
Ursache für die Nichtverfolgung und Wiederverwendung von Kriegs- und
Naziverbrechern in Westdeutschland besteht also nicht darin, daß den Bonner
Behörden die Belastungsdokumente unbekannt wären oder vorenthalten würden. Die
Nichtverfolgung und Wiederverwendung von Nazi- und Kriegsverbrechern ist auch
kein Zufall. Sie ist vielmehr Bestandteil der Politik der Bonner Regierung, die
auf die Revision der Ergebnisse des zweiten Weltkrieges, auf die Veränderung der
Grenzen gerichtet ist. Die letzte Ursache für die Wiederverwendung der Nazi- und
Kriegsverbrecher liegt darin, daß im westdeutschen Staat die gleichen
verhängnisvollen Kräfte der Rüstungsindustrie Politik und Wirtschaft in den
Händen haben, die Hitler zur Macht brachten, den zweiten Weltkrieg vorbereiteten
und heute Revanche für ihre Niederlage nehmen und erneut die Grenzen der
Nachbarstaaten überrennen wollen. Weil diese Kräfte heute die gleiche
verderbliche Politik wie zur Zeit des Faschismus zu betreiben versuchen,
bedienen sie sich der gleichen faschistischen Verbrecher. Weil die
gesellschaftlichen Wurzeln des Faschismus, die Machtkonzentration in den Händen
der Rüstungsmonopole, in Westdeutschland nicht beseitigt wurden, deshalb werden
die Naziverbrecher rehabilitiert.
Das ist der Grund, weshalb durch das
berüchtigte 131er Gesetz den westdeutschen Behörden seit 1951 die
Wiedereinstellung der ehemaligen Nazi-Beamten auf allen Ebenen zur Pflicht
gemacht wurde.
Das ist der Grund, weshalb Bonn schon am 8. Mai 1960 die
Masse der Nazi- und Kriegsverbrechen als „Totschlags“-Verbrechen wegen
„Verjährung“ außer Strafverfolgung gesetzt hat.
Das ist der Grund,
weshalb die Bundesregierung den Beschluß faßte, daß auch die schlimmsten
Nazi-Massenmorde am 8. Mai 1965 verjähren sollten, was nur durch die
internationale Protestbewegung verhindert wurde.
Das ist schließlich der
Grund für den Beschluß des Bonner Bundestages vom 25. März 1965, ungeachtet der
Weltproteste die Verjährung der Nazi-Mordtaten lediglich um 4 Jahre zu
verschieben.
Die Verantwortlichen für die Verbrechen des Faschismus sind
heute Haupteinpeitscher der Bonner Revanchepolitik.
Die Verantwortlichen
für die Verbrechen des Faschismus erarbeiteten und praktizieren die
Notstandsgesetze, die zur Vorbereitung der Aggression nach außen die
demokratischen Rechte im Innern vernichten sollen.
Die Verantwortlichen
für die Verbrechen des Faschismus fordern heute Mitspracherecht und
Verfügungsgewalt über Atomwaffen, um andere Mächte in ihre Kriegsabenteuer gegen
die DDR und die anderen sozialistischen Länder hineinzuziehen.
Die
Verantwortlichen für die Verbrechen des Faschismus entfesseln heute in der
Bundesrepublik eine Welle des Nationalismus und Chauvinismus, um die Bevölkerung
für diese Pläne reif zu machen.
Das Braunbuch beweist: Hunderte von
Kriegs- und Naziverbrechern, deren Beteiligung an gemeinen und blutigen
Verbrechen bekannt und dokumentarisch belegt ist, sind in der Bundesrepublik
nicht zur Verantwortung gezogen worden. Hunderte von Kriegs- und Naziverbrechern
nehmen exponierte Stellungen im Staatsapparat und im gesellschaftlichen Leben
Westdeutschlands ein. Die Herrschaft dieser Kräfte in Bonn, die keine Lehren aus
der Vergangenheit gezogen haben, ist eine Gefahr für den Frieden der
Welt.
Der Kampf für die gerechte Bestrafung aller Nazi- und
Kriegsverbrecher, für die Entfernung ehemals führender Faschisten aus leitenden
Positionen des westdeutschen Staatsapparates ist deshalb ein untrennbarer
Bestandteil des Kampfes für Frieden und Entspannung. Wem Frieden und Sicherheit
am Herzen liegen, der fordert gemeinsam mit allen demokratischen und
antifaschistischen Kräften der ganzen Welt:
Anerkennung des
völkerrechtlichen Prinzips der Nichtverjährung von Nazi- und Kriegsverbrechen
durch die Bonner Regierung!
Gerechte Bestrafung aller Nazi- und
Kriegsverbrecher entsprechend der Schwere ihrer Tat!
Ausschaltung der
schuldbeladenen Kräfte der Vergangenheit aus den führenden Positionen in Politik
und Wirtschaf t der westdeutschen Bundesrepublik!
Schluß mit der Bonner
Politik der Grenzforderungen, der Notstandsgesetze und der atomaren
Kriegsvorbereitung!
Auch in Westdeutschland muß die Befreiung vom
Faschismus und Militarismus, die am 8. Mai 1945 eingeleitet, aber dort wieder
rückgängig gemacht wurde, endlich verwirklicht
werden.
Herausgeber
Nationalrat der Nationalen Front des
Demokratischen Deutschland
Dokumentationszentrum der Staatlichen
Archivverwaltung der DDR
Staatsverlag der Deutschen Demokratischen
Republik
Berlin 1968
Staatsverlag der Deutschen Demokratischen
Republik
ES 6 B 3 • VLN 610/62 • 134/68 DDR
Lektor: Otfried
Schmack
Technischer Redakteur: Gisela Ostberg
Hersteller: Gerhard Kurth